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Latente Steuern
Nach § 274 HGB existieren zwei Arten latenter Steuern:
aktive latente Steuern (§ 274 I 2 HGB) und
passive latente Steuern (§ 274 I 1 HGB).
Die Idee der latenten Steuern ist folgende: wenn durch unterschiedliche Ansatzwahlrechte bzw. Ansatzverbote in der Handels- und Steuerbilanz das Ergebnis der beiden Bilanzen unterschiedlich ist und sich der Unterschiedsbetrag aber in der Zukunft ausgleicht, so liegen latente Steuern vor. Man geht vor nach dem Temporary-Concept. Dies bedeutet, dass
zeitliche Differenzen
als Grund für latente Steuern herhalten.
Expertentipp
Zeitliche Differenzen zwischen dem handelsbilanziellen und dem steuerbilanziellen Ergebnis gleichen sich automatisch im Laufe der Zeit aus.
Merke
Beispiel
Merke
1. liegen zeitliche Differenzen vor? Gleichen sich diese also im Zeitverlauf automatisch aus?
2. welche Art latenter Steuern ist gegeben?
aktive latente Steuern:
- anfänglich: JahresüberschussHandelsrecht < JahresüberschussSteuerrecht
- und irgendwann JahresüberschussHandelsrecht > JahresüberschussSteuerrecht.
passive latente Steuern:
- anfänglich: JahresüberschussHandelsrecht > JahresüberschussSteuerrecht
- und irgendwann JahresüberschussHandelsrecht < JahresüberschussSteuerrecht.
3. Entscheidung: aktive latente Steuer aktivieren, wenn man sich möglichst reich im Handelsrecht kalkulieren soll. Diese hingegen nicht aktivieren, wenn man sich möglichst arm rechnen soll.
Bei der passiven latenten Steuer liegt keine Wahl vor, sondern eine Passivierungspflicht.
4. Berechnung der latenten Steuer. Grenzsteuersatz*Unterschiedsbetrag aus den Erfolgsbeiträgen im Handels- und Steuerrecht.
Aktive latente Steuern
Der Ansatz aktiver latenter Steuern lässt sich sehr gut an folgendem Beispiel erläutern.
Beispiel
Das Disagio kann in der Handelsbilanz aktiviert werden, muss aber nicht. Wenn es nicht aktiviert wird, muss es in der Gewinn- und Verlustrechnung als Zinsaufwand komplett angesetzt werden. Im Jahre 0 erfolgt also handelsrechtlich eine Aufwendung von 1.000 €. Da in der Steuerbilanz das Disagio aktiviert werden muss und der Kredit Anfang des Jahres aufgenommen wurde, muss das Disagio steuerbilanziell bereits im Jahre 0 zu einem Viertel abgeschrieben werden. Der steuerrechtliche Aufwand beträgt dann also 250 €. Die nachfolgenden Überlegungen lassen sich durch folgende Tabelle für die Anfangsperiode besser erläutern.
Anfangsperiode 0 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Disagio- | 250 | 1.000 |
Ergebnis | 4.750 | 4.000 |
Steuern | 1.425 | 1.425 |
Ergebnis nach Steuern | 3.325 | 2.575 |
Man sieht, dass die Ergebnisse der Handels- und der Steuerbilanz nach Verrechnung des Aufwands für das Disagio unterschiedlich sind. Das Steuerbilanzergebnis ist höher als das Handelsbilanzergebnis. Da die Steuer sich nach dem steuerbilanziellen Ergebnis bemisst, würde handelsbilanziell und steuerbilanziell dieselbe Steuer geschuldet und bezahlt. Das Ergebnis nach Steuern ist daher ebenfalls steuerbilanziell höher als handelsbilanziell. In den folgenden Jahren wird handelsbilanziell kein Aufwand mehr angesetzt, da das Disagio im nullten Jahr bereits vollständig als Aufwand angesetzt wurde. Steuerbilanziell hingegen muss das Disagio weiterhin über noch drei Jahre abgeschrieben werden, damit insgesamt über eine Laufzeit von vier Jahren das Disagio von 1.000 € mit jeweils 250 € pro Jahr verteilt wird. Da handelsbilanziell kein Aufwand mehr angesetzt wird, kehren sich die Ergebnisse gerade um: das Handelsbilanzergebnis vor Steuern wird nun höher als das Steuerbilanzergebnis. Da die Steuern hierbei wieder gleich sind (denn die zu zahlende Steuer bemisst sich nach dem Steuerbilanzergebnis), ist ebenfalls das handelsbilanzielle Ergebnis nach Steuern mit 3.575 € höher als das Steuerbilanzergebnis nach Steuern mit 3.325 €. Die nachfolgende Tabelle fasst diese Überlegungen für die Folgeperioden zusammen:
Folgeperioden 1,2,3 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Disagio | 250 | - |
Ergebnis | 4.750 | 5.000 |
Steuern | 1.425 | 1.425 |
Ergebnis nach Steuern | 3.325 | 3.575 |
Entscheidend ist also, dass das Steuerbilanzergebnis in der Anfangsperiode höher ist als das Handelsbilanzergebnis am Anfang, dies sich jedoch in den Folgeperioden genau umkehrt: das Handelsbilanzergebnis ist plötzlich höher als das Steuerbilanzergebnis. Es handelt sich daher um eine temporäre Differenz (timing difference), nicht um eine permanente Differenz (permanent difference). Die bedeutet nach § 274 I 2 HGB, dass aktive latente Steuern angesetzt werden dürfen, aber nicht müssen. Es liegt daher ein Wahlrecht zum Ansatz aktiver latenter Steuern vor. Wenn diese aktiven latenten Steuern angesetzt werden, so rechnet man folgendermaßen. Man unterscheidet dann die Steuern in
zahlbare Steuern, die sich nach der Steuerbilanz ergeben und die tatsächlich gezahlten Steuern bezeichnen und
latente Steuern, die den Unterschiedsbetrag angeben, zu dem was handelsbilanziell als Steuer gezahlt werden müsste, wenn das Handelsbilanzergebnis maßgeblich für die gesamten Steuern wäre.
Daher zunächst die folgende Tabelle, die die Behandlung der Handels- und Steuerbilanz unter Einbezug aktiver latenter Steuern in der Handelsbilanz angibt.
Anfangsperiode 0 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Disagio | 250 | - 1.000 |
Ergebnis | 4.750 | 4.000 |
Steuern - zahlbar - latent |
-1.425 - |
-1.425 +225 |
Ergebnis nach Steuern | 3.325 | 2.800 |
Die zahlbaren Steuern von 1.425 € ergehen sich als 30 % vom steuerbilanziellen Ergebnis von 4.750 € und werden auch als solche in der Handelsbilanz angesetzt. Wenn jedoch das handelsbilanzielle Ergebnis von 4.000 € maßgeblich für die Bemessung der Steuer wäre, so würde man 0,3∙4.000 = 1.200 € als Steuer zahlen. Den Unterschiedsbetrag zwischen den tatsächlich zu zahlenden Steuern von 1.425 € und den fiktiv nach der Handelsbilanz zu zahlenden Steuern von 1.200 € bilden die aktiven latenten Steuern von 225 € die hier mit „+” angesetzt werden, da sie auf der Aktivseite verbucht werden.
Methode
Passive latente Steuern werden gebildet, weil gewissermaßen zu wenig Steuern gezahlt wurden (daher wie eine Verbindlichkeit behandelt werden).
Wenn aktive latente Steuern angesetzt werden, so müssen diese in den darauf folgenden Jahren wieder aufgelöst werden (§ 274 II 2 HGB). Das Disagio wird steuerbilanziell noch weitere drei Jahre abgeschrieben, d.h. in den folgenden drei Jahren kehren sich die Größenordnung zwischen handelsbilanziellem und steuerbilanziellem Ergebnis gerade wieder um; denn das Ergebnis der Handelsbilanz ist in den Jahren 1,2,3 mit 5.000 € höher als jenes der Steuerbilanz mit 4.750 €, wie die Tab. 55 zeigt.
Folgeperioden 1,2,3 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Disagio | 250 | 0 |
Ergebnis | 4.750 | 5.000 |
Steuern - zahlbar - latent |
-1.425 - |
-1.425 -75 |
Ergebnis nach Steuern | 3.325 | 3.500 |
Wieder ist für die zahlbaren Steuern allein das Steuerbilanzergebnis mit 4.750 € maßgeblich und daher wiederum 0,3∙4.750 = 1.425 € als zahlbare Steuern anzusetzen. Wäre nun wiederum das handelsbilanzielle Ergebnis maßgeblich für die Steuerzahlung, so wäre 5.000∙0,3 = 1.500 € zu bezahlen. Da allerdings nach dem Steuerbilanzergebnis lediglich 1.425 € tatsächlich zu zahlen sind, werden gewissermaßen 75 € zu wenig an Steuern bezahlt. Daher schreibt man in die Tabelle 55 den Betrag von -75 € und meint damit, dass die aktiven latenten Steuern von 225 € aus der nullten Periode über die drei folgenden Perioden mit jeweils 75 € aufgelöst werden, denn 3∙75 = 225 €.
Merke
- entweder als zu wenige gezahlten Steuern, denn nach Maßgabe der Handelsbilanz wären noch 75 € Steuern mehr zu zahlen, oder
- als Auflösung der aktiven latenten Steuern von 225 € über drei Perioden.
Passive latente Steuern, Ausschüttungssperre
Die passiven latenten Steuern - für die im Gegensatz zu den aktiven eine Bilanzierungspflicht besteht – lassen sich ebenfalls besser an einem Beispiel verstehen.
Beispiel
Handelsrechtlich dürfen Aufwendungen für selbstgeschaffene Vermögensgegenstände des Anlagevermögens angesetzt werden (§ 248 II 1 HGB). Steuerrechtlich hingegen dürfen diese Aufwendungen nicht angesetzt werden und müssen daher sofort als Aufwendung verrechnet werden.
Daher beträgt in der Steuerbilanz das Ergebnis nach Berücksichtigung der Aufwendung 3.000 €. Handelsbilanziell hingegen liegt das Ergebnis bei 5.000 €, da Abschreibungen erst ab dem folgenden Geschäftsjahr erfolgen. Das Handelsbilanzergebnis liegt damit um 2.000 € über dem Steuerbilanzergebnis, siehe nachfolgende Tabelle. Die Steuern von 900 € wiederum bemessen sich nach dem Steuerbilanzergebnis von 3.000 €.
Anfangsperiode 0 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Abschreibung | -2.000 | - |
Ergebnis | 3.000 | 5.000 |
Steuern | 900 | 900 |
Ergebnis nach Steuern | 2.100 | 4.100 |
In den folgenden Jahren 1, 2, 3, 4 kehrt sich die Größenordnung zwischen Handels- und Steuerbilanzergebnis genau um. Da die Aufwendungen steuerbilanziell bereits am Anfang vollständig berücksichtigt wurden, darf in der Steuerbilanz nichts mehr angesetzt werden (5 II EStG), das Ergebnis liegt damit konstant bei 5.000 € nach Berücksichtigung der Aufwendungen für selbstgeschaffene Vermögensgegenstände des Anlagevermögens. Handelsbilanziell hingegen erfolgt eine Abschreibung der aktivierten Aufwendungen in Höhe von 500 € pro Jahr. Das Ergebnis von 4.500 € liegt damit unter jenem der Steuerbilanz mit 5.000 €. Entscheidend ist also, dass das Handelsbilanzergebnis am Anfang höher ist als das Steuerbilanzergebnis (5.000 € > 3.000 €), was sich jedoch in den folgenden Jahren genau umkehrt, denn in den Jahren 1 – 4 liegt das Handelsbilanzergebnis unterhalb des Steuerbilanzergebnisses (4.500 € < 5.000 €). Es handelt sich damit um eine zeitliche Differenz (timing – difference), nicht um eine permanente. Die Voraussetzungen zur Bildung der passiven latenten Steuer nach § 274 I HGB sind damit gegeben.
Folgeperioden 1,2,3,4 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Abschreibung | - | 500 |
Ergebnis | 5.000 | 4.500 |
Steuern | 1.500 | 1.500 |
Ergebnis nach Steuern | 3.500 | 3.000 |
Mit Berücksichtigung latenter Steuern unterscheidet man wiederum
zahlbare Steuern, die sich nach dem Ergebnis der Steuerbilanz bemessen und
passive latente Steuern, die sich nach der Differenz aus zahlbaren Steuern und fiktiven, nach der Handelsbilanz bemessenen Steuern richten.
Nach dem Steuerbilanzergebnis sind 0,3∙3.000 = 900 € zahlbare Steuern zu entrichten. Wäre die Handelsbilanz maßgeblich für die Steuern, so müssten 5.000∙0,3 = 1.500 € Steuern gezahlt werden. Mit 900 € zu zahlenden Steuern liegen die Effektivsteuern damit um 600 € unter den fiktiven Steuern. Diese Differenz von 600 € bilden damit die passiven Steuern, die mit – in der Tabelle in der Spalte der Handelsbilanz bei passiven, also latenten Steuern anzusetzen sind.
Anfangsperiode 0 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Abschreibung | 2.000 | - |
Ergebnis | 3.000 | 5.000 |
Steuern - zahlbar - latent | -900 - | -900 -600 |
Ergebnis nach Steuern | 2.100 | 3.500 |
Damit ergibt sich handelsbilanziell ein Ergebnis von 3.500 €, denn die zahlbare Steuer von 900 € und die passive latente Steuer von 600 € werden vom Ergebnis vor Steuer abgezogen. In den Jahren 1, 2, 3 und 4 ergeben sich folgende Überlegungen. Handelsbilanziell werden die aktivierten Aufwendungen mit 500 € pro Jahr abgeschrieben, die zu zahlende Steuer hingegen ergibt sich wiederum als 0,3∙5.000 = 1.500 € sowohl für die Steuer als auch für die Handelsbilanz. Wäre das Handelsbilanzergebnis von 4.500 € maßgeblich für die Steuer, so würde man 0,3∙4.500 = 1.350 € als Steuer erhalten. Mit den Effektivsteuern von 1.500 € zahlt man daher gewissermaßen 150 € zu viel an Steuer. Dieses „zu viel an Steuer” führt daher zu einer Auflösung der passiven latenten Steuer in Höhe von 150 € in den Jahren 1, 2, 3, 4. Wenn man also die Effektivsteuer von -1.500 € und die Auflösung der passiven latenten Steuer von 150 addiert, so erhält man -1.500 + 150 = -1.350 €, die nach Handelsbilanz an Steuer zu entrichten wären.
Folgeperioden 1,2,3,4 | Steuerbilanz | Handelsbilanz |
Ergebnis | 5.000 | 5.000 |
Aufwendung bzw. Abschreibung | - | 500 |
Ergebnis | 5.000 | 4.500 |
Steuern - zahlbar - latent | -1.500 - | -1.500 + 150 |
Ergebnis nach Steuern | 3.500 | 3.150 |
Analog zur aktiven latenten Steuer lässt sich also auch die passive latente Steuer in den Folgeperioden auf zwei unterschiedliche Arten berechnen:
- als „zuviel gezahlte“ Steuer von 150 €, oder
- als Auflösung der passiven latenten Steuern von 600 € in den Perioden 1, 2, 3 und 4.
Kommen wir zu einer Anwendung der passiven latenten Steuer, nämlich in § 268 VIII 1 HGB.
Hiernach muss, wenn unentgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens aktiviert werden (was wegen des steuerlichen Aktivierungsverbots nach § 5 II EStG zu passiven latenten Steuern führt), eine Ausschüttungssperre beachtet werden.
Beispiel
Handelsrechtlich wird das Aktivierungswahlrecht des § 248 II 1 HGB ausgenutzt, denn man hat dann weniger Aufwendungen im Ursprungsjahr. Steuerbilanziell allerdings darf nicht aktiviert werden (§ 5 II EStG). Damit ist am Anfang der Jahresüberschuss nach Handelsrecht größer als jener nach Steuerrecht, was sich in der Zukunft allerdings umkehren wird, denn handelsrechtlich wird ja zukünftig abgeschrieben, steuerrechtlich wegen der fehlenden Aktivierung allerdings nicht.
Also liegen passive latente Steuern vor in Höhe von
passive latente Steuer = Steuersatz*(Unterschiedsbetrag der Jahresüberschüsse nach Handels- und Steuerrecht)
= 0,3*(10.000)
= 3.000 €.
Folglich rechnet man
Ausschüttungssperre = aktivierte immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens abzgl. passive latente Steuern
= 10.000 - 3.000
= 7.000 €.
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